Herrn Landrat
Bernd Lynack
im Hause
Hildesheim, den 20.01.2022
Altenpflege, Heimaufsicht;
Anfrage nach § 56 NKomVG
Sehr geehrter Herr Landrat Lynack,
wir bitten Sie um Beantwortung folgender Fragen zum Betrieb und Betreiber des Altenpflegeheimes, worüber auf Antrag der CDU-Fraktion vom 18.11.2021 in der Sitzung des Ausschusses für Soziales, Jugend, Sport und Gesundheit am 02.12.2021 beraten wurde (im Folgenden nur als Heim H bezeichnet/angesprochen); die Fragen beziehen sich auf den Zeitraum der vergangenen zwei Jahre:
- Welche Pflegesatzvereinbarung nach § 85 SGB XI sind vom Landkreis für welchen Zeitraum abgeschlossen worden?
1.1 Welche Versorgungsverträge nach § 72 SGB XI sind von den Kassen für welchen Zeitraum abgeschlossen worden?
1.2 Welche Sicherheitsleistungen sind von dem Betreiber verlangt worden?
1.3 Wo werden von ihm weitere Pflegeheime betrieben?
- Bestand der Verdacht oder gab es Anhaltspunkte dafür, dass der Betreiber gegen Vorschriften des NuWG oder sonstige Vorschriften im Zusammenhang mit dem Betrieb des Heimes H verstoßen hat?
2.1 Ist es zulässig oder aus welchen Gründen unzulässig, dass die Heimaufsicht Verstöße gegen Vorschriften des NuWG öffentlich bekannt macht?
2.2 Bestand jederzeit die dauernde Gewähr für eine leistungsfähige und wirtschaftliche pflegerische Versorgung? Wenn nein, warum nicht?
2.3 Welche Qualitätsprüfungen nach dem SGB XI wurden vom Landkreis wann und von wem mit welchen Ergebnissen durchgeführt?
2.4 Sind nach § 18 NuWG Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet worden: insbesondere wegen eines Verstoßes gegen § 5 NuWG? Wenn ja, mit welchem Ergebnis wurden sie beendet?Gibt es nach Auffassung der Verwaltung Tatbestände, die in den Katalog des § 18 NuWG zusätzlich aufgenommen werden sollten?
- Wie viele schriftliche Anordnungen nach § 11 NuWG sind in den vergangen zwei Jahren zur Beseitigung welcher Mängel erfolgt? Innerhalb welcher Zeit wurden die jeweils angeordneten Maßnahmen ausgeführt?
- Lagen der Heimaufsicht in den vergangenen zwei Jahren Anhaltspunkte vor, die Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betreibers haben aufkommen lassen? Wenn ja, welche?
- Wann und in welcher Form hat der Landkreis Hildesheim bzw. die Heimaufsicht das Fachministerium oder das Nds. Landesamt für Soziales, Jugend und Familie die für die Überwachung und Verfolgung von Rechtsverstößen zuständigen Stellen über Mängel und Anhaltspunkte für Verstöße gegen Ordnungs- oder Strafvorschriften durch den Betreiber des Heimes H informiert?
Welche Vorschriften haben es dem Landkreis verboten oder verbieten es dem Landkreis, die genannten Stellen zu informieren?
5.1 Welche Berichte wurden vom Fachministerium oder vom Nds. Landesamt für Soziales,
Jugend und Familie vom Landkreises Hildesheim angefordert?
5.2 Welche Maßnahmen hat das Fachministerium oder das Landesamt zur Abstellung von
Mängeln usw. gegenüber dem Landkreis wann angeordnet?
- Stand es im Ermessen der Heimaufsicht, dem Betreiber des Heimes H den Betrieb wegen mangelnder Zuverlässigkeit zu untersagen?
6.1 Welche konkreten Umstände waren bei der Ausübung des Ermessens darüber, ob dem
Betreiber der Betrieb zu untersagen ist, zu berücksichtigen?
6.2 Wie und in welcher Form wurde das Ermessen unter Einbeziehung welcher Tatsachen
nachvollziehbar ausgeübt?
- Die Pflegekassen dürfen gem. § 72 SGB XI ambulante und stationäre Pflege nur durch Pflegeeinrichtungen gewähren, mit denen ein Versorgungsvertrag besteht. Voraussetzung für die Aufrechterhaltung eines Versorgungsvertrages ist gemäß § 72 Abs. 3 SGB XI u. a. die dauernde Gewähr für eine leistungsfähige und wirtschaftliche pflegerische Versorgung. Das Vorliegen dieser Voraussetzung haben die Landesverbände der Pflegekassen auch während des laufenden Betriebs einer Einrichtung zu prüfen.
Wann und von wem ist das Vorliegen dieser Voraussetzung nachvollziehbar und mit welchem Ergebnis geprüft worden?
- In § 15 NuWG ist bestimmt: „Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zum Schutz der Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner und zur Sicherung einer angemessenen Qualität des Wohnens und der Betreuung in den Heimen sowie zur Sicherung einer angemessenen Qualität der Prüfung sind die Heimaufsichtsbehörden verpflichtet, mit den Pflegekassen, deren Landesverbänden, dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung und dem Träger der Sozialhilfe eng zusammenzuarbeiten.“
Welche Abstimmungen und Prüfungen hat die Heimaufsicht zu dem Heim H wann, in welcher Form und mit welchen Ergebnissen hinsichtlich der Erforderlichkeit von Anordnungen nach § 11 oder der Untersagung des Betriebes nach § 13 NuWG vorgenommen?
- Welche über das NuWG hinausgehenden Bestimmungen enthält die Gewerbeordnung hinsichtlich der Zuverlässigkeit zur Ausübung eines Gewerbes, insbesondere hinsichtlich zum Schutz der in einem Betrieb Beschäftigten?
9.1 Welche Behörde ist dafür zuständig?
9.2 Von wem, wie und wann ist dies hinsichtlich des Heimbetreibers mit welchem Ergebnis geprüft worden?
- Von welchen Pflegekassen a) waren und b) sind mit dem Heim H Versorgungsverträge abgeschlossen worden?
- Von wem haben die o. a. Pflegekassen in den vergangenen zwei Jahren welche Informationen über die Zustände in dem Heim H erhalten?
- Wie ist von welchen Pflegekassen geprüft worden, ob die Verträge mit dem Betreiber des Heims H zu kündigen sind? Warum ist keine Kündigung erfolgt?
- Verfügt der ehemalige Betreiber des Heimes nach wie vor über Versorgungsverträge? Wenn ja, für welche Heime und mit welchen Kassen?
13.1 Seit Ende 2021 ist in Niedersachsen die gesetzliche Grundlage für „Beschwerdestelle Pflege“ geschaffen worden, die im Büro der Landespatientenschutzbeauftragen angesiedelt werden soll. An diese Stelle sollen sich vor allem Pflegebedürftige, pflegende Angehörige und professionell Pflegende mit Hilfeersuchen und Beschwerden wenden können, damit Missstände möglichst früh aufgedeckt und beseitigt werden können.
13.2 Welche Maßnahmen sind vom Landkreis geplant, auf diese Stelle und deren Aufgaben sowie Erreichbarkeit hinzuweisen.
13.3 Ist vorgesehen, diese Beschwerdestelle über die Vorkommnisse im Heim H zu informieren?
- Können sich der Kreisausschuss oder der Kreistag die Entscheidung nach § 13 Abs. 1 NuWG im Einzelfall gem. § 58 Abs. 3 Satz 1 oder § 78 Abs. 2 NKomVG vorbehalten?
Begründung:
- Gem. § 5 NPflegeG ist der Landkreis verpflichtet, eine den örtlichen Anforderungen entsprechende notwendige pflegerische Versorgungsstruktur nach Maßgabe des Gesetzes sicherzustellen (im eigenen Wirkungskreis gem. § 6 des Gesetzes).
Zum Schutz der Bewohnerinnen und Bewohnern von Pflegeheimen ist eine sachgerechte Heimaufsicht erforderlich. Es ist zu prüfen, ob die Heimaufsicht des Landkreises Hildesheim personell und sachlich ausreichend ausgestattet ist und über die für die Aufgabenerfüllung erforderlichen rechtlichen Befugnisse verfügt. Dass diese Prüfungen erforderlich sind, zeigen die Vorkommnisse im Zusammenhang mit dem Heim H.
- Das NuWG bestimmt u. a.
– in § 5 Abs. 2: Ein Heim darf nur betrieben werden, wenn in ihm
— 1. die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und
Bewohner geachtet und vor Beeinträchtigungen geschützt werden,
— 2. den Bewohnerinnen und Bewohnern eine nach Art und Umfang ihrer
Betreuungsbedürftigkeit angemessene Lebensgestaltung ermöglicht sowie
die erforderlichen Hilfen gewährt werden,
– in § 5 Abs. 3: Der Betreiber eines Heims muss die für den Betrieb eines Heims
erforderliche Zuverlässigkeit besitzen,
– und in § 13 Abs 1: die Heimaufsichtsbehörde hat den Betrieb eines Heims zu untersagen,
wenn die Anforderungen des § 5 nicht erfüllt sind.
- Das NuWG hat 2015 das Niedersächsische Heimgesetz (NHeimG)abgelöst. Die Regelungen zur Zuverlässigkeit blieben dabei unverändert. Nach wie vor relevant sind daher die Hinweise zur Zuverlässigkeit in der Begründung zum Entwurf eines NHeimG vom 19.05.2010 (LT-Drs. 16/2493):
„Begründung
- Besonderer Teil
Die Anforderungen des § 5 sind stets in allen Heimen zu erfüllen. Die Einhaltung dieser Verpflichtung obliegt allen Beschäftigten und damit auch der Heimleitung und ist insgesamt als Aufgabe des Heims anzusehen. Entscheidend ist das Ergebnis, das dem Betreiber zuzurechnen ist…
Absatz 3 zählt weitere Voraussetzungen auf, die der Betreiber sowohl in persönlicher als auch in organisatorischer Hinsicht beim Betrieb der Einrichtung zu erfüllen hat.
Die erforderliche Zuverlässigkeit im Sinne von Nummer 1 besitzt ein Betreiber dann, wenn er sowohl in persönlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht zuverlässig ist. Wirtschaftlich zuverlässig ist ein Betreiber dann, wenn er die für den Betrieb der Einrichtung erforderlichen Mittel besitzt und seine Vermögensverhältnisse geordnet sind. Die wirtschaftliche Zuverlässigkeit ist dann nicht mehr gegeben, wenn die Finanzierung der Einrichtung nicht mehr hinreichend gewährleistet ist, weil die finanzielle Grundlage und die laufenden Einnahmen des Betriebs nicht mehr zur Erfüllung seiner Verpflichtungen ausreichen.
Da die Landesverbände der Pflegekassen gemäß § 72 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 2 SGB XI Versorgungsverträge nur mit Betreibern abschließen dürfen, die die Gewähr für eine leistungsfähige und wirtschaftliche pflegerische Versorgung bieten, können die Heimaufsichtsbehörden in den Fällen, in denen Betreiber über Versorgungsverträge verfügen, grundsätzlich von deren wirtschaftlicher Zuverlässigkeit ausgehen, soweit ihnen keine anderen Erkenntnisse vorliegen. Die zuständige Behörde hat eine Prüfung der wirtschaftlichen Zuverlässigkeit allerdings dann durchzuführen, wenn ihr Tatsachen bekannt werden, die begründete Zweifel an dieser entstehen lassen.
Das ist dann der Fall, wenn der Heimaufsichtsbehörde bekannt wird, dass der Betreiber seinen wirtschaftlichen Verpflichtungen nicht oder ohne erkennbaren Grund nicht mit der erforderlichen Gewissenhaftigkeit nachkommt oder wenn sich Beschwerden hinsichtlich der Qualität von Betreuung, Verpflegung oder Pflege häufen.
Zwar ist gemäß § 72 Abs. 3 SGB XI u. a. Voraussetzung für die Aufrechterhaltung eines Versorgungsvertrages die dauernde Gewähr für eine leistungsfähige und wirtschaftliche pflegerische Versorgung.
Hieraus ergibt sich, dass die Landesverbände der Pflegekassen diese Voraussetzung auch während des laufenden Betriebs einer Einrichtung zu prüfen haben, sodass daran gedacht werden könnte, die Heimaufsichtsbehörden vollständig von der Prüfung der wirtschaftlichen Zuverlässigkeit des Trägers zu entbinden. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben jedoch gezeigt, dass die Kündigung von Versorgungsverträgen durch die Landesverbände der Pflegekassen erst nach einem zeitlich aufwendigen Verfahren möglich ist und die Heimaufsichtsbehörden aufgrund ihres differenzierten Instrumentariums angemessener und schneller reagieren können. Die Möglichkeit zur schnellen Reaktion im Fall mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit wird auch weiterhin für unverzichtbar gehalten, um Schaden von den Bewohnerinnen und Bewohnern fernzuhalten und abzuwenden. Da die erforderliche Zuverlässigkeit auch die wirtschaftliche Zuverlässigkeit umfasst, ist die zuständige Behörde allerdings dort, wo Einrichtungen nicht über Versorgungsverträge verfügen, zur Prüfung der wirtschaftlichen Zuverlässigkeit nicht nur berechtigt, sondern auch weiterhin verpflichtet.“
- § 1a (Beschwerdestelle Pflege) des NPflegeG bestimmt (seit 22.12.2021):
„(1) 1Im für Soziales zuständigen Ministerium wird eine „Beschwerdestelle Pflege“ eingerichtet, an die sich insbesondere pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige sowie Beschäftigte von Pflegeeinrichtungen mit Beschwerden und Hilfeersuchen in Fragen der pflegerischen Versorgung wenden können. 2Die Beschwerdestelle Pflege hat die Aufgabe,
- sich für die Wahrung der Rechte von pflegebedürftigen Menschen und deren Angehörigen sowie Beschäftigten von Pflegeeinrichtungen einzusetzen,
- auf eine Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der pflegerischen Versorgung hinzuwirken,
- Beschwerden oder Hilfeersuchen entgegenzunehmen und den zugrunde liegenden Sachverhalt, auch unter Einbeziehung der in Nummer 4 genannten für die Sachverhaltsaufklärung zuständigen Stellen, zu prüfen,
- die für die Überwachung oder für die Verfolgung und Ahndung von Rechtsverstößen zuständigen Stellen zu informieren, wenn sich Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift ergeben, und
- die beschwerdeführenden und hilfesuchenden Personen über das Ergebnis der Prüfung zu informieren und gegebenenfalls Stellen zu nennen, die für das Anliegen Beratung anbieten.
Die Beschwerdestelle Pflege nimmt die ihr obliegenden Aufgaben unabhängig und weisungsungebunden wahr.
(2) Die Beschwerdestelle Pflege arbeitet bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nach Absatz 1 Satz 2 mit den Behörden des Landes, den Kommunen, den Trägern von Pflegeeinrichtungen und ihren Vereinigungen, den Pflegekassen und ihren Vereinigungen, dem Medizinischen Dienst sowie den Interessenvertretungen der pflegebedürftigen Menschen, des Pflegepersonals und der pflegenden Angehörigen mit dem Ziel einer zügigen und transparenten Bearbeitung und Aufklärung zusammen.
(3) Die Beschwerdestelle Pflege berichtet der Landesregierung und dem Niedersächsischen Landtag jährlich über ihre Tätigkeit.
In der Gesetzesbegründung (LT-Drs.: 18/8197 vom 17.12.2020) heißt es u.a.:
„Die Einrichtung einer Beschwerdestelle Pflege gemäß § 1 a soll zu einer Aufrechterhaltung und Verbesserung der Qualität der pflegerischen Versorgung beitragen. Insbesondere sollen pflegebedürftige Personen besser vor kriminellen Handlungen geschützt werden.“
Mit freundlichem Gruß
Friedhelm Prior
Fraktionsvorsitzender