Landkreis Hildesheim
Herrn Landrat Bernd Lynack
Marie-Wagenknecht-Str. 3
31134 Hildesheim
Hildesheim, 15.07.2025
Rettungsdienst im Landkreis Hildesheim
Anfrage gem. § 56 NKomVG
Sehr geehrter Herr Landrat Lynack,
nach Auffassung der CDU-Kreistagsfraktion sind die beschlossenen Rettungsdienst-bedarfspläne des Landkreises rechtswidrig und daher zu ändern. Im Hinblick darauf bitten wir Sie um Beantwortung folgender Fragen:
- Wer entscheidet aufgrund welcher Zuständigkeit und in welchem Verfahren darüber, wer unter welchen Voraussetzungen als Disponenten in der gemeinsamen Rettungsleitstelle eingestellt oder eingesetzt wird? Wer sind die Vorgesetzten der Disponenten?
- Welche Körperschaft (Landkreis oder Stadt Hildesheim) muss nach welcher Regelung bei einer Verletzung von Amtspflichten in Bezug auf einen Rettungsdiensteinsatz durch den Disponenten der Rettungsleitstelle die Nichtursächlichkeit festgestellter Fehler beweisen?
- An welche und von wem in welcher rechtlichen Form bestimmten Vorgaben sind die o. a. Disponenten bei ihren Entscheidungen über den Einsatz von Rettungsmitteln gebunden? Wie und in welcher Form sind solche Vorgaben mit dem Landkreis wann abgestimmt worden?
- Wie viel Zeit steht den zuvor genannten Disponenten nach welchen Vorgaben vom Eingang des Notrufes in der Rettungsleitstelle und der Auslösung der Alarmierung im Einsatzleitsystem max. zur Verfügung? Wie viel Zeit ist dafür im vergangenen Jahr in welchem Rettungsdienstbereich a) durchschnittlich und b) max. in Anspruch genommen worden?
- Welche für den Landkreis Hildesheim wann beschlossenen Rettungsdienstbedarfspläne sind mit welchen benachbarten kommunalen Trägern wann und in welcher Form abgestimmt oder nicht abgestimmt worden (§ 2 Abs. 2 BedarfVO-RettDG)?
- Wie wird gewährleistet, dass die o. a. Disponenten auch dann von einem Fall der Notfallrettung ausgehen, wenn eine lebensbedrohliche Verletzung oder Erkrankung des Patienten zwar noch nicht eingetreten, aber zu erwarten ist? Wie wird gewährleistet, dass völlig unabhängig von Dienstanweisungen, Empfehlungen, Richtlinien usw. das Letztentscheidungsrecht über den Zeitpunkt der Alarmierung im Einsatzleitsystem und das zuerst einzusetzende Rettungsmittel der Disponent der Rettungsleitstelle hat und im Zweifel der RTW statt eines NKTW zu wählen ist?
- Trifft es zu, dass derzeit und nach den beschlossenen Rettungsdienstbedarfsplänen für einige Orte im Landkreis Hildesheim die Hilfsfrist von 15 Minuten entgegen § 2 Abs. 4 NRettDG nicht eingehalten werden kann? Wenn ja, für welche Orte kann die Hilfsfrist von 15 Minuten aus welchen Gründen nicht eingehalten werden und seit wann liegen diese Gründe vor?
Zudem bitten wir Sie, sehr geehrter Herr Landrat, uns eine Kopie aller gültigen Vereinbarungen zuzusenden, die der Landkreis Hildesheim nach § 4 Abs. 3 Satz 2 NRettDG abgeschlossen hat.
Begründung:
Nach unserer Auffassung sind die Rettungsdienstbedarfspläne des Landkreises Hildesheim insbesondere deshalb rechtswidrig,
- weil entgegen § 2 Abs. 1 NRettDG keine flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen des Rettungsdienstes gewährleistet ist,
- weil der Hauptverwaltungsbeamte die Abgeordneten insbesondere entgegen seiner Pflicht aus § 85 Abs. 4 NKomVG nicht über die tatsächlichen Eintreffzeiten und die mangelnden Möglichkeiten zur Einhaltung der Hilfsfrist informiert und somit keine sachgerechte Ermessenentscheidung über den Rettungsdienstbedarfsplan ermöglicht hat,
- weil der Hauptverwaltungsbeamte entgegen § 85 Abs. 1 NKomVG die Beschlussempfehlung des Kreisausschusses durch eine ungenügende Darstellung der Sach- und Rechtslage und insbesondere durch das Verschweigen der tatsächlichen Eintreffzeiten nicht ausreichend vorbereitet hat mit der Folge, dass der Beschluss über den jeweiligen Rettungsdienstbedarfsplan unwirksam ist.
Im Einzelnen
Aufgrund der Lage der Rettungswachen und nach den Angaben der AG Rettungsdienst Hildesheim e.V. sowie des Gutachters Fa. FORPLAN Dr. Schmiedel GmbH wird durch den Landkreis Hildesheim (Träger des Rettungsdienstes gem. § 3 Abs. 1 NRettDG) entgegen dem Sicherstellungsauftrag aus § 2 Abs. 1 NRettDG und den Vorgaben aus § 2 BedarfVO-RettD die flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen nach § 2 Absatz 2 NRettDG nicht sichergestellt.
Dies betrifft insbesondere die Aufgabe nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 NRettDG:
„[…] 1. bei lebensbedrohlich Verletzten oder Erkrankten unverzüglich die erforderlichen medizinischen Maßnahmen am Einsatzort durchzuführen, die Transportfähigkeit dieser Personen herzustellen und sie erforderlichenfalls unter fachgerechter Betreuung mit dafür ausgestatteten Rettungsmitteln in eine für die weitere Versorgung geeignete Behandlungseinrichtung zu befördern (Notfallrettung), wobei dies auch die Bewältigung von Notfallereignissen mit einer größeren Anzahl von Verletzten oder Kranken einschließt (Großschadensereignis), soweit nicht der Eintritt des Katastrophenfalls festgestellt wird, […].“
Zu dieser flächendeckenden und bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung wird in
§ 2 BedarfVO-RettD – Grundsätze für die Bedarfsbemessung – bestimmt:
„(1) Der Bedarf an Einrichtungen des Rettungsdienstes ist so zu bemessen, dass in jedem Rettungsdienstbereich eine flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen des Rettungsdienstes gewährleistet ist.
(2) 1Können Teile eines Rettungsdienstbereichs durch einen benachbarten Träger des Rettungsdienstes schneller versorgt werden, so soll dies bei der Bedarfsplanung berücksichtigt werden. 2Hierzu sind die Bedarfspläne benachbarter kommunaler Träger aufeinander abzustimmen.
(3) Der Zeitraum zwischen der Auslösung der Alarmierung im Einsatzleitsystem bis zum Eintreffen des ersten Rettungsmittels am Einsatzort (Eintreffzeit) soll
- für die Notfallrettung in 95 Prozent der in einem Jahr in einem Rettungsdienstbereich zu erwartenden Einsätze 15 Minuten und
- für den Notfalltransport in 80 Prozent der in einem Jahr im Rettungsdienstbereich zu erwartenden Einsätze 30 Minuten nicht übersteigen.
(4) 1Die Bemessung des Bedarfs an Einrichtungen des Rettungsdienstes ist unter Beachtung der örtlichen Verhältnisse daran auszurichten, dass jeder an einer öffentlichen Straße gelegene Einsatzort von einem geeigneten Rettungsmittel innerhalb der Eintreffzeit nach Absatz 3 erreicht werden kann. 2Dabei ist die mögliche Unterstützung durch die Luftrettung zu berücksichtigen.“
Hierzu heißt es in der Begründung zum Entwurf eines Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes (NRettDG) vom 05. 11. 1991 – Drucksache 12 / 2281:
„[…] Wegen der unterschiedlichen Zeiträume, die aufgrund der verschiedenartigen Krankheiten eine optimale Patientenversorgung sicherstellen müssen, wurde auf eine gesetzlich vorgeschriebene Hilfsfrist (Zeitraum vom Eingang der Meldung bis zum Eintreffen des Rettungsmittels am Einsatzort) verzichtet. Hier muß wegen der örtlichen Verschiedenheiten und auch aus betriebswirtschaftlichen Gründen im Einzelfall entschieden werden. Nach Organisationsuntersuchungen wurde eine Frist von zehn Minuten für 95 % aller Einsätze als zweckdienlich ermittelt.
Die schnelle und qualifizierte Hilfe ist von überragender Bedeutung, z. B. zur Erhaltung oder Wiederherstellung der lebensnotwendigen Funktionen, für bessere Überlebenschancen, zur Verkürzung der klinischen Behandlungsdauer, für größere Chancen zur vollständigen Wiederherstellung oder zur Vermeidung psychischer Schäden (insbesondere bei Kindern). Je kürzer das behandlungsfreie Intervall und je qualifizierter die Erstbehandlung ist, desto vorteilhafter ist dies für die Patientin oder den Patienten und die Folgekosten für das Gesundheitswesen.
Zur Festlegung einer bedarfsgerechten Versorgung müssen auch die Einsatzhäufigkeit, die Anzahl der Rettungswachen und deren Standorte, die Anzahl der Rettungsmittel insgesamt und deren Verteilung auf die Rettungswachen einschließlich der Ausstattung und Bestückung der Rettungsmittel berücksichtigt werden.
Um die medizinischen und finanzwirtschaftlichen Aspekte praxisbezogen zu regeln, wird eine Verordnung über die Kriterien zur Bemessung der flächendeckenden und bedarfsgerechten Anzahl der Einrichtungen des Rettungsdienstes erlassen werden […]“.
Die o. a. Regelungen sind zum Nachteil der auf Nothilfe angewiesenen lebensbedrohlich Verletzten oder Erkrankten geändert worden. Die o. a. Empfehlung des Gesetzgebers („Nach Organisationsuntersuchungen wurde eine Frist von zehn Minuten für 95 % aller Einsätze als zweckdienlich ermittelt.“) ist in keiner Weise umgesetzt worden. Statt einer Eintreffzeit von 10 Minuten zwischen Eingang der Meldung bis zum Eintreffen des Rettungsmittels am Einsatzort) gelten nun 15 Minuten zwischen der Auslösung der Alarmierung im Einsatzleitsystem bis zum Eintreffen des ersten Rettungsmittels am Einsatzort. Zudem lässt die Verordnung offen, wie viele Minuten zwischen dem Eingang der Meldung bei der Rettungsleitstelle und der Auslösung der Alarmierung im Einsatzleitsystem (dem Auftrag der Rettungsleitstelle an das Rettungspersonal) vergehen darf.
Durch diese Änderungen hat sich jedoch nichts an der Verpflichtung geändert, dass die Versorgung flächendeckend an jedem „an einer öffentlichen Straße gelegene Einsatzort“ zu gewährleisten ist.
Kann die Eintreffzeit nach § 2 Abs. 3 BedarfVO-RettDG an verschiedenen Orten grundsätzlich nicht eingehalten werden, wird der Sicherstellungsauftrag nicht erfüllt mit der Folge, dass der dann rechtswidrige Rettungsdienstbedarfsplan zu ändern ist. Dies gilt unabhängig davon, dass die BedarfVO-RettDG hinsichtlich der Vorgaben zu den Eintreffzeiten augenscheinlich nicht dem Willen des Gesetzgerbers entspricht, von der Verordnungsermächtigung nicht gedeckt und folglich rechtswidrig ist.
Über den Rettungsdienstbedarfsplan hat der Kreistag nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.
Eine sachgerechte Ermessensausübung ist aufgrund fehlender Angaben über die tatsächlichen Eintreffzeiten und Erreichbarkeiten nicht möglich gewesen und folglich nicht vorgenommen worden. Dazu erforderliche Daten hat der Hauptverwaltungsbeamte des Landkreises Hildesheim nach eigenen Angaben entgegen § 4 Abs. 4 NRettDG über Jahre hinweg nicht im erforderlichen Umfang erfasst und nicht für eine sachgerechte Fortschreibung des Rettungsdienstbedarfsplanes ausgewertet. Anfragen zu den tatsächlichen Eintreffzeiten hat er sogar wahrheitswidrig, ungenügend oder überhaupt nicht beantwortet. Er hat sogar sinngemäß behauptet, dass Daten, wie sie vom OVG Lüneburg im Urteil vom 7. 12. 2005 – 11 LC 91/04 – „gefordert“ werden, für die Beantwortung der Frage, ob der Sicherstellungsauftrag erfüllt ist, nicht relevant seien.
Ist der Beschluss oder die Beschlussempfehlung des Kreisausschusses vom Hauptverwaltungsbeamten entgegen § 85 Abs. 1 NKomVG nicht vorbereitet worden, ist der jeweilige Beschluss unwirksam. Dies ist für die Beschlüsse über hier in Rede stehen Rettungsdienstbedarfspläne der Fall, weil der Hauptverwaltungsbeamte den Kreisausschuss nicht nur ungenügend über die Sach- und Rechtslage informiert hat, sondern durch wahrheitswidrige und unbegründete Behauptungen erheblich gegen seine Dienstpflichten verstoßen hat und eine sachgerechte Ermessensausübung des Kreistages aktiv verhindert.
Mit freundlichen Grüßen
Friedhelm Prior
Fraktionsvorsitzender
Katy Renner-Köhne
Sprecherin der CDU-Kreistagsfraktion
für Verkehrssicherheit, Verbraucher und Bevölkerungsschutz
Dirk Bettels
Sprecher der CDU-Kreistagsfraktion
für Jugend, Soziales und Gesundheit