Landkreis Hildesheim
Herrn Landrat Bernd Lynack
Marie-Wagenknecht-Str. 3
31134 Hildesheim
Hildesheim, 09.01.2023
Vereinbarung zwischen dem Landkreis Hildesheim (LK) und den Städten, Samtgemeinden und Gemeinden über die Bereitstellung von Wohnraum zur Vermeidung von Obdachlosigkeit für Flüchtlinge aus der Ukraine
Anfrage nach § 56 NKomVG
Sehr geehrter Herr Landrat Lynack,
in der Vorlage 350/XIX vom 23.11.2022 heißt es:
„Zu weiteren kommunalen SGB II-Leistungen (u. a. einmaligen Kosten der Unterkunft und auch einmalige Beihilfen – insbesondere für Hausrat für selbst angemietete Wohnungen) erfolgt keine zusätzliche Kostenübernahme. Auch ist momentan nicht absehbar, ob die zur Verfügung gestellten und weiteren angekündigten Bundesmittel die bereits geleisteten und weitere Aufwendungen (u. a. Herrichtungskosten) sowie die zu erwartenden deutlichen Kostensteigerungen bedingt durch die Energiekrise auch vollumfänglich abdecken werden.“
§2 Abs 2 der Vereinbarung regelt:
„(2) Die Kosten, die dem LK und der Stadt Hildesheim im Rahmen der Erfüllung der Aufgabe nach § 1 Abs. 1 entstehen, tragen der LK und die Gemeinden einschließlich Stadt Hildesheim nach Maßgabe des in § 3 aufgestellten Verteilungsschlüssels gemeinsam. Damit wird einer gerechten Lastenverteilung auf alle Parteien Rechnung getragen.“
In § 1 Abs. 1 der Vereinbarung ist bestimmt:
„(1) Die Parteien sind sich einig, dass die Versorgung mit Wohnraum von aus der Ukraine Geflüchteten im Leistungsbezug des SGB Il und SGB XII durch den LK und die Stadt Hildesheim (für das Stadtgebiet) erfolgt, um eine Obdachlosigkeit zu vermeiden.“
Wir bitten Sie um Beantwortung folgender Fragen:
Wozu erfolgt aufgrund welcher Regelungen in welcher Höhe eine zusätzliche Kostenübernahme?
Beabsichtigen Sie, die Kosten für Verpflegung auf die Städte und Gemeinden ab 01.06.2022 umzulegen, obwohl die in § 2 Abs. 2 der o. a. Vereinbarung genannten Kosten, keine umlagefähigen Kosten „für die Versorgung mit Wohnraum“ sind (siehe § 2 Abs. 2 der o. a. Vereinbarung)?
Werden die Kostenrechnungen nach § 3 Abs. 2 der o. a. Vereinbarung für die Städte und Gemeinden nachvollziehbar sein hinsichtlich Höhe und Erforderlichkeit sowie insbesondere dahingehend, welche Kosten für freiwillige Leistungen in welchem Zeitraum und an welchem Ort angefallen sind und auf welcher Grundlage in welcher Höhe vom Bund oder Land übernommen werden?
In welcher Höhe sind beim Landkreis Kosten für Flüchtlinge aus der Ukraine angefallen a) in 2022 insgesamt und b) im Juni 2022 für die Erbringung von Leistungen nach § 22 SGB II? In welcher Höhe (in Euro und Prozent) wurden/werden diese Kosten a) vom Bund und b) vom Land erstattet? Wie wirken sich für den Landkreis die a) vom Bund und b) vom Land am 23.09.2022 beschlossenen höheren Zuwendungen für die Flüchtlinge aus?
In welcher Höhe sind in 2021 und 2022 Erträge a) aus den Schlüsselzuweisungen und b) aus der Kreisumlage bei oder für die Erbringung welcher Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch genutzt worden?
In welcher Höhe sind in 2021 und 2022 die Erträge a) aus den Schlüsselzuweisungen und b) aus der Kreisumlage für die Erbringung welcher freiwilligen Leistungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 NKomVG im Bereich der Sozialhilfe genutzt bzw. verwendet worden? Welche Einsparmöglichkeiten sind hier nach Auffassung der Verwaltung gegeben?
Begründung:
„Die kommunalen Träger nehmen die mit der Trägerschaft nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs verbundenen Aufgaben im eigenen Wirkungskreis wahr“ (§ 1 Abs. 3 Nds. AG SGB II). Für die Erfüllung von Aufgaben im eigenen Wirkungskreis hat der Landkreis einen weiten Spielraum für freiwillige Leistungen. Im Sozialrecht hat der Landkreis diesen Spielraum in der Vergangenheit parteiübergreifend weitgehend genutzt: ohne dafür die Städte und Gemeinden zusätzlich zur Kreisumlage zu belasten.
Die CDU-Fraktion ist nach wie vor der Auffassung, dass die o. a. Vereinbarung nicht erforderlich ist. Zumindest ist die Erforderlichkeit in keiner Weise dargelegt. Soweit die Kosten nicht durch besondere Zuweisungen von Bund und Land übernommen werden, sind sie durch die Schlüsselzuweisungen gedeckt oder durch die von den Städten und Gemeinden gezahlte Kreisumlage finanziert, die in 2023 eine Rekordhöhe erreicht.
2021 betrugen die Einnahmen des Landkreises aus der Kreisumlage und der Schlüsselzuweisung 272.007.690 €. Für 2022 waren es 283.998.500 € und für 2023 beträgt der Ansatz 291.310.100 €.
Die in der o. a. Vereinbarung vorgesehene Kostenbeteiligung der Städte und Gemeinden läuft darauf hinaus, dass die Städte und Gemeinden für eine Aufgabe mehrfach zur Kasse gebeten werden.
Zudem bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vereinbarung, da vor der Beschlussfassung Anfragen zu den Kosten nicht bzw. nicht richtig oder sogar irreführend beantwortet wurden. Hierzu siehe u. a. Blum in Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz, 4. Auflage, § 56 Rn 9: „Ist die Auskunftsverweigerung rechtswidrig, so sind Beschlüsse, in deren Vorfeld und zu deren Gegenstand die Auskunft erbeten wurde, nichtig (VG Oldenburg, B. vom 2.4.2004 – 2 B 1229).“
Es widerspricht auch dem Haushaltsrecht, wenn sich Städte und Gemeinden in einem Vertrag unbefristet zu Zahlungen verpflichten, die bei Vertragsabschluss in der Höhe und Zusammensetzung nicht eindeutig bestimmt sind.
Die CDU-Kreistagsfraktion hat wiederholt und auch zum Haushalt 2023 beantragt: „Soweit die Gemeinden zur Unterbringung oder Betreuung von Flüchtlingen Maßnahmen treffen, weil die Angebote anderer Stellen für die Betreuung nicht ausreichen, fördert bzw. unterstützt der Landkreis dies in 2023 als freiwillige Leistung im Rahmen eines Budgets in Höhe von 2 Mio. Euro pro Jahr.“ Dies haben SPD, Grüne usw. abgelehnt. Die CDU-Kreistagsfraktion hat zum Haushalt 2023 auch beantragt: „Es ist eine globale Minderausgabe einzuplanen in Höhe von 1 % und max.
4.000.000 € bei den Aufwendungen für die Pflichtaufgaben im eigenen Wirkungskreis. Ausgenommen davon sind Aufwendungen für konkrete Vorgaben des Kreistages oder Kreisausschusses (z. B. Zuwendungen für die Kinderbetreuung).“ SPD, Grüne usw. haben auch diesen Vorschlag abgelehnt und keinen eigenen einzigen Vorschlag unterbreitet, wo die Kreisverwaltung Kosten einzusparen hat.
Der Landrat verweigert seit nunmehr ca. einem Jahr u.a. die Beantwortung der Frage (siehe z. B. Anfrage der CDU-Fraktion Nr. 21/XIX vom 14.02.2022): „Wie hoch waren im Jahr 2020 bei welchen Ämtern die Aufwendungen für freiwillige Leistungen im eigenen Wirkungskreis? Durch welche konkreten Maßnahmen waren sie verursacht worden“
Im Übrigen ist der Landrat von der CDU-Fraktion am 02.12.2022 gefragt worden: „Welche Kosten i. S. d. Vereinbarung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit für Flüchtlinge aus der Ukraine sind im Juni 2022 in welchen Orten und für welche Leistungen und wie viele Personen angefallen oder zu erwarten?“ Die Anfrage ist bis zur Kreistagssitzung am 08.12.2022, in der die Vereinbarung beschlossen wurde, und auch danach nicht beantwortet worden. Am 20.12.2022 erhielten wir nun zur Antwort, „die Einhaltung der Frist gem. § 18 Abs. 2 Geschäftsordnung für den Kreistag, eine Anfrage innerhalb von drei Wochen schriftlich zu beantworten, ist aufgrund der Komplexität der Anfrage nicht möglich.“ Daraus ergibt sich, dass die Kreisverwaltung die nach der o. a. Vereinbarung zu verteilenden Kosten für den Monat Juni 2022 bis heute angeblich nicht kennt.
Es ist ohnehin fraglich, ob der Kreistag der Vereinbarung überhaupt zugestimmt hätte, wenn er vom Landrat vollständig über alle dafür relevanten Umstände informiert worden wäre: Mit dem Gesetz vom 23.09.2022 hat der Landtag den Landkreisen für die Flüchtlinge aus der Ukraine wesentlich höhere Mittel als bisher zugesagt. Trotzdem hat der Landrat in seinen Vorlagen vom 26.09. und sogar noch vom 23.11.2022 nur von einem Gesetzentwurf gesprochen.
Mit der Anfrage der CDU-Fraktion Nr. 96 vom 05.12.2022 ist der Landrat gefragt worden, aus welchen Gründen er dem Kreisausschuss am 26.09.2022 und dem Kreistag am 29.09.2022 sowie in seiner Antwort vom 30.09.2022 nicht gesagt habe, dass das Gesetz bereits am 23.09.2022 beschlossen wurde und der Landkreis wesentlich höhere Mittel erhält? In seiner Antwort vom 20.12.2022 erklärt er nun: „Aufgrund der ausstehenden Veröffentlichung handelte es sich am 26.09.2022 und am 29.09.2022 noch um einen Gesetzesentwurf im Gesetzgebungsverfahren. Der konkrete Sachstand im Gesetzgebungsverfahren war nicht Gegenstand der Beratungen in den v. g. Sitzungen.“ Dieser unvertretbaren Behauptung des Landrates steht zwei Gründe entgegen: 1.: Artikel 6 des o. a. Gesetzes vom 23.09.2022 lautet: „Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.“ Der Gesetzgeber hatte also keinen Zweifel daran, dass er mit der Abstimmung am 23.09.2022 ein Gesetz beschlossen bzw. verabschiedet hatte.
2.: Artikel 45 unserer Verfassung (Ausfertigung, Verkündung, In-Kraft-Treten) bestimmt: „Die verfassungsmäßig beschlossenen Gesetze sind unverzüglich von der Präsidentin oder dem Präsidenten des Landtages auszufertigen und von der Ministerpräsidentin oder dem Ministerpräsidenten im Gesetz- und Verordnungsblatt zu verkünden.“ Also: Gesetzentwürfe werden nicht ausgefertigt und nicht verkündet.
Eine Zuständigkeit der Städte und Gemeinden für eine Übernahme der Kosten ist auch bis heute rechtlich nicht begründet worden. Und das, was die Verwaltung für eine Zuständigkeit der Städte und Gemeinden ins Feld führt, sind zum Teil lediglich Behauptungen: In der öffentlichen Sitzung des Ausschusses für Jugend, Soziales und Gesundheit am 15.09.2022 wurde über die Unterkunft, Verpflegung etc. für die geflüchteten Menschen aus der Ukraine seit dem 01.06.2022 gesprochen. Hinsichtlich der vom Land nach Hildesheim verbrachten Flüchtlinge teilte die Verwaltung mit: „Die Leistungen für Kosten der Unterkunft, Verpflegung etc. sind beim Jobcenter von den Betroffenen zu beantragen. Von dort aus erfolgt auch die Zahlung. Eine Wohnungsvermittlung findet von hier aus nicht statt. Demzufolge sind die Geflüchteten von dem Moment an Wohnungslos, sobald der Antrag beim Jobcenter gestellt wurde. Um die Beschaffung von Wohnraum muss sich der Personenkreis selbst bemühen.“
Damit wird von der Verwaltung quasi gesagt: Wer einen Anspruch auf eine Wohnung hat und beim Landkreis Hildesheim einen Antrag stellt, der erhält die Antwort: „Schöner Antrag, sie haben nach dem SGB II einen Anspruch auf eine Wohnung, wir haben aber keine Wohnung und müssen ihnen auch keine besorgen; da sie einen Antrag gestellt haben, sind nun obdachlos und werden in einer Turnhalle untergebracht; die Kosten dafür habe nun die für die Obdachlosigkeit zuständige Gemeinde zu tragen, obwohl der Landkreis die Kosten für Wohnung und Heizung nach dem SGB II vom Bund und Land erstattet bekommt.
Mit dieser unglaublichen Auffassung steht unser Landkreis wohl allein.
Völlig unbegründet und irrig ist auch die Behauptung der Kreisverwaltung, „um die Beschaffung von Wohnraum muss sich der Personenkreis selbst bemühen.“ Dies Behauptung widerspricht schlicht den Vorgaben sowie Sinn und Zweck des Sozialrechts: siehe Prof. Dr. Wolfgang Spellbrink (bis August 2021 Vorsitzende Richter am Bundessozialgericht) in KassKomm/Spellbrink § 14 SGB I Rn. 3-5).
Es war und ist selbstverständlich die Aufgabe der Sozialbehörden, die Leistungsberechtigten aktiv zu unterstützen. Und selbst dann, wenn das SGB II vom Sozialamt keine aktive Hilfe verlangen würde, ist eine solche Hilfe auf jeden Fall freiwillig möglich. Zudem besteht ein auch für die Sozialbehörden bindendes humanitäres Gebot, sich aktiv um Wohnraum für die Flüchtlinge zu bemühen.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Friedhelm Prior
Fraktionsvorsitzender