„Gullydeckel-Attacke Harsum“

Landkreis Hildesheim
Herrn Landrat Bernd Lynack
Marie-Wagenknecht-Str. 3
31134 Hildesheim

 

Hildesheim, 11.10.2022

„Gullydeckel-Attacke Harsum“
Tätigkeit und Erreichbarkeit des Sozialpsychiatrischen Dienstes

Sehr geehrter Herr Landrat Lynack,

wir bitten Sie, den Beratungspunkt „Gullydeckel-Attacke Harsum, Tätigkeit und Erreichbarkeit des Sozialpsychiatrischen Dienstes“ in die Tagesordnung der jeweils nächsten Sitzung des Ausschusses für Jugend, Soziales und Gesundheit, des Kreisausschusses und des Kreistages aufzunehmen.

Begründung:

  1. Das zuständige Organ des Landkreises muss zum o. a. Fall eine Entscheidung nach dem Niedersächsischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke (NPsychKG) treffen. Im Zusammenhang mit diesem Fall ist auch über personelle sowie organisatorische Maßnahmen im Sozialpsychiatrischen Dienst zu beraten.
  2. Seit den Informationen des Bürgermeisters von Harsum an den Landkreis vom 09./10.08.2022 sind nun zwei Monate vergangen, in denen der Kreisausschuss über ggf. erforderliche Maßnahmen zum Schutz höchster Rechtsgüter aufgrund einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr (z. B. Bombendrohungen) nach dem NPsychKG hätte beraten und entscheiden müssen: insbesondere über die Anforderung eines aktuellen ärztlichen Zeugnisses und auf dessen Grundlage über den Antrag auf Unterbringung beim zuständigen Gericht.
  3. Nach § 16 NPsychKG ist eine Unterbringung psychisch kranker Personen zulässig, wenn von ihnen infolge ihrer Krankheit eine „gegenwärtige erhebliche Gefahr“ ausgeht, die auf andere Weise nicht abgewendet werden kann.

    Die Entscheidung darüber ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Die Ermessensausübung ist sachgerecht aber nur aufgrund der vollständigen Kenntnisse über den Sachverhalt und die jeweils relevanten personenbezogenen Daten möglich (u. a. über das persönliche Umfeld des Betroffenen, sein bisheriges Verhalten vor dem 09.08.2022, diegutachterliche Feststellung über seine psychische Krankheit und die Aussage darüber, ob infolge dieser Krankheit seit wann eine gegenwärtige erhebliche Gefahr besteht).Dem stehen im vorliegenden Fall insbesondere entgegen, dass der Hauptverwaltungsbeamte die am 01.09.2022 von der CDU-Fraktion verlangte Akteneinsicht bisher nicht gewährt, wesentliche Fragen zum Sachverhalt (z. B. Anfrage der CDU-Fraktion vom 15.09.2022) auch nicht teilweise beantwortet und dem Kreisausschuss keine Beschlussvorlage vorgelegt hat.

    Über die öffentliche Beratung in der Sitzung des Ausschusses für Jugend, Soziales und Gesundheit am 15.09.2022 gibt es bisher kein Protokoll. Über die relevanten Ereignisse in den vergangenen zwei Wochen hat der Landrat die Abgeordneten bisher nicht informiert.

    Mit der Akteneinsicht sollte u. a. geklärt werden, wann der Landkreis welche Informationen erhalten hat (von der Polizei, der Staatsanwaltschaft, dem Betreuungsgericht, der Gemeinde Harsum und sonstigen Dritten in Bezug auf psychische Krankheiten, geistige Gebrechen, Straftaten, Androhungen von welchen Straftaten, Verurteilungen, gerichtliche Beschlüsse nach dem NPsychKG oder der StPO), ob und aus welchen Gründen der Landrat ein medizinisches Gutachten nach dem NPsychKG wann angefordert hat oder nicht, welche Aussagen sich daraus ergeben, ob ein solches Gutachten jetzt anzufordern ist, welche Gründe derzeit für oder gegen eine „gegenwärtige erhebliche Gefahr“ bzw. einen Unterbringungsantrag sprechen.In diesem Zusammenhang ist auch relevant, was die Polizei zu dem in Nr. 2 genannten Fall dem Landkreis aufgrund ihrer Informationspflichten mitgeteilt hat.

  4. Am 12.9.2022 teilte der Landrat per E-Mail mit,
    – er habe wegen datenschutzrechtlicher Bedenken das Innenministerium und die Landesbeauftragte für Datenschutz gefragt, ob und in welchem Umfang er die Fragen der CDU-Fraktion beantworten bzw. Akteneinsicht geben dürfe,

    – er werde die CDU-Fraktion informieren, sobald die Antwort der Landesdatenschutzbeauftragten vorliege.

    Später berichtete er in einer Sitzung des Sozialausschusses und des Kreisausschusses z. B. etwas darüber, was der Landkreis am 09.08.2022 gewusst bzw. nicht gewusst habe. Zudem teilte er mit, dass nach Meinung des Innenministeriums die Daten zu dem Vorgang nur begrenzt zur Verfügung zu stellen seien.

    Auf unsere Frage an den Innenminister vom 15.09.2022, ob er auf eine Akteneinsicht hinwirken werde, hat der Minister mit Schreiben vom 25.09.2022 wie folgt antworten lassen: Da der Landrat den Antrag auf Akteneinsicht bereits umfassend prüfe, sehe er keinen Anlass hierauf weiter hinzuwirken. Und weiter heißt es im Schreiben des Ministeriums: Seine rechtliche Einschätzung zur Frage der Akteneinsicht liege dem Landrat vor. Die abschließende Prüfung, inwieweit Einsicht in die gewünschten Akten gewährt werden kann, obliege jedoch dem Landkreis.

    Für den Hauptverwaltungsbeamten (Amtsbezeichnung Landrat), der die Verwaltung einschl. des Sozialpsychiatrischen Dienstes zu leiten hat, ist der Kreistag die oberste Dienstbehörde und sein höherer Dienstvorgesetzter.

    Zudem ist der Kreisausschuss auch für die Beamten des Sozialpsychiatrische Dienstes die höhere Disziplinarbehörde. Schon daher ist in keiner Weise die Auffassung vertretbar,dass der Hauptverwaltungsbeamte, der gesetzlich verpflichtet ist, die Beschlüsse des Kreistages und Kreisausschusses auszuführen und die Aufgaben des Kreisausschusses zu erfüllen (§ 85 Abs.1 NKomVG), befugt sein soll zu entscheiden, welche relevanten dienstlichen Unterlagen für Maßnahmen nach NPsychKG er dem Kreisausschuss vorlegt.

    Im Übrigen widerspricht eine Einschränkung der Auskunftspflicht § 56 und § 58 Abs. 4 der Kommunalverfassung bzw. den durch die Verfassung gewährten Rechten und Pflichten der Abgeordneten (zum Auskunftsrecht und zur Überwachung der Verwaltung durch die Abgeordneten siehe u. a. OVG Lüneburg, Urteil vom 4.3.2014 – 10 LB 93/13, VG Hannover, Urteil vom 17.06.2016 – 1 A 13723/14, Gesetzentwurf der Landesregierung – Drs. 15/1490, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Sport – Drs. 15/1835, LT-Drs. 15/2124, S. 5, und VG Braunschweig, Urteil vom 25.04.2013 – 1 A 225/12): Dem Abgeordneten erwachse „aus seinem Status ein Recht darauf, dass ihm diejenigen Informationen nicht vorenthalten werden, die ihm eine sachverständige Beurteilung ermöglichen… Daher darf nicht der zu kontrollierende Hauptverwaltungsbeamte dem zur Kontrolle berufenen Rat Regeln und Voraussetzungen für das Auskunftsrecht vorgeben … Vielmehr bedürfen Abgeordnete einer umfassenden Information, um ihren Aufgaben genügen zu können; dies gilt insbesondere für parlamentarische Minderheiten.“

  5. Die o. a. Anfragen des Landrates beim Innenministerium und bei der Landesdatenschutzbeauftragten waren und sind nicht erforderlich, denn die datenschutzrechtlichen Bedenken sind völlig unbegründet. Sie sind nicht geeignet, den o. a. Zeitverzug bzw. ein weiters Verzögern der Entscheidung in einem Fall zu rechtfertigen, bei dem über das Vorliegen bzw. Abwehren einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr zu entscheiden ist: von dem für diese Entscheidung zuständigen Organ.

Mit freundlichen Grüßen

gez. Friedhelm Prior
Fraktionsvorsitzender

 

gez. Dirk Bettels
Sprecher der CDU-Kreistagsfraktion
für Jugend, Soziales und Gesundheit

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