Landkreis Hildesheim
Herrn Landrat Bernd Lynack
Marie-Wagenknecht-Str. 3
31134 Hildesheim
Hildesheim, 10.01.2023
„Gullydeckel- Attacke Harsum“ und Maßnahmen nach dem Niedersächsischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke (NPsychKG)
Anfrage gem. § 56 NKomVG
Sehr geehrter Herr Landrat Lynack,
wir bitten Sie um Beantwortung einiger Fragen zu folgendem Sachverhalt:
Am 08. oder 09.08.2022 erhielt der Landkreis Hildesheim vom Bürgermeister der Gemeinde Harsum ein vom Betreuungsgericht in Auftrag gegebenes und am 01.03.2022 erstelltes neuropsychiatrisches Gutachten über eine Person, die gem. der Berichterstattung in der Presse seit vielen Jahren vom Sozialpsychiatrischen Dienst betreut wird, vor ca. sechs Jahren wegen verschiedener Delikte zu Haftstrafen verurteilt wurde, nach Angaben der Staatsanwaltschaft im April 2022 vermutlich Bombendrohungen als E-Mail und Sprachnachricht gegen den Betreuungsverein und das Justizzentrum richtete und seit Jahren wiederholt erhebliche Gefahren verursacht hat.
Aufgrund der Diagnose in dem o. a. Gutachten hat der Bürgermeister den Landkreis Hildesheim über das Gutachten und darüber informiert, dass die erkrankte Person ihm gegenüber vor einigen Monaten angekündigt habe, ihn zu erschlagen. Da diese Drohung unter Berücksichtigung der nun diagnostizierten Krankheit zu bewerten sei, hat er den Landkreis um eine Gefährdungsanalyse nach dem NPsychKG gebeten. Hinzu kommt, dass die o. a. Person verdächtigt wird, Gullydeckel von einer Autobahnbrücke auf ein Auto geworfen und dadurch Menschen verletzt zu haben.
Zumindest nach den Presseberichten hat die o. a. Person die objektiven Tatbestandsmerkmale des § 241 StGB („Bedrohung“) und § 126 StGB („Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten“) erfüllt.
Durch Morddrohungen gegen den Bürgermeister und seine Familie ist deren Recht auf Freiheit bereits konkret eingeschränkt: die Grenze von der Gefahr zur Störung dieses hohen Rechtsgutes ist bereits überschritten.
Die Grenze von der Gefahr zur Störung ist auch durch die Bombendrohungen überschritten: insbesondere durch die Störung des öffentlichen Friedens.
„Öffentlicher Friede ist auch das Vertrauen in den funktionierenden Rechtsstaat. Dieses erschöpft sich nicht in die Rechtsbewährung durch Strafverfolgung. Vertrauensverlust kann durch Strafverfolgung zwar wieder kompensiert werden, Vertrauen gründet sich aber auch darin, dass derartige öffentliche Androhungen unterbleiben. Öffentlicher Friede ist nicht das Freisein v. Rechtsbrüchen, wohl aber das Freisein von öffentlichen Androhungen schwerer Rechtsbrüche. Damit soll das staatliche Gewaltmonopol, das gerade dem öffentlichen Frieden dient, sichergestellt werden“ (NK-StGB/Heribert Ostendorf, 5. Aufl. 2017, StGB § 126 Rn. 6).
Als eine mögliche Schutzmaßnahme kann der Landkreis beim Gericht unter Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses eine Unterbringung beantragen (§§ 16, 17 NPsychKG).
Fragen:
- Sind Sie der Auffassung, dass aufgrund der in Rede stehenden Mord- und Bombendrohungen eine gegenwärtige erhebliche Gefahr bzw. Störung im Sinne des NPOG bzw. NPsychKG besteht? Wenn nein: Aus welchen Gründen teilen Sie diese Auffassung nicht?
- Wann und vom wem ist unter Berücksichtigung des Gutachtens vom 01.03.2022 und des Verhaltens der o. a. Person im Verlauf des letzten Jahres ein ärztliches Zeugnis erstellt worden, dass den Anforderungen der §§ 16, 17 NPsychKG genügt? Wie beantwortet dieses Zeugnis die Fragen, ob von der Person infolge ihrer Krankheit eine gegenwärtige erhebliche Gefahr ausgeht und wie diese Gefahr ohne eine Unterbringung beseitigt werden kann?
Ist dem Landkreis das o. a. Gutachten vom Gericht zur Verfügung gestellt worden? Aus welchen Gründen hat das Gericht das Gutachten anfertigen lassen? War oder ist das Gericht verpflichtet oder nicht verpflichtet, dem Landkreis das o. a. Gutachten zur Verfügung zu stellen?
- Welche medizinischen Gutachten liegen Ihnen insbesondere für den Zeitraum ab August 2022 seit wann und von wem vor, aufgrund derer oder dessen a) überhaupt und b) trotz des Gutachtens vom 01.03.2022 kein Zeugnis nach §§ 16, 17 NPsychKG anzufordern war oder anzufordern ist, um auf deren/dessen Grundlage über einen Antrages nach § 17 NPsychKG entscheiden zu können? Wann und von wem ist das Gutachten des Gerichts der Polizei und Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt worden?
- Seit wann liegen Ihnen welche Unterlagen von wem darüber vor, wie sich die psychische Krankheit der o. a. Person in den vergangenen ca. 10 Jahren verändert hat?
- Haben Sie seit Bekanntwerden des Gutachtens vom 01.03.2022 und den o. a. Drohungen ein ärztliches Zeugnis für eine Antragstellung nach §§ 16, 17 NPsychKG anfertigen lassen oder in Auftrag gegeben?
- Aus welchen Gründen sind Sie der Auffassung, dass seit Bekanntwerden des Gutachtens vom 01.03.2022 und den o. a. Drohungen kein ärztliches Zeugnis für eine Antragstellung nach §§ 16, 17 NPsychKG zu erstellen ist oder zu erstellen war?
- Werden Sie das o. a. Gutachten vom 01.03.2022 kurzfristig allen Kreistagsmitgliedern zur Verfügung stellen?
- Wann und in welcher Form hat sich a) das Sozialministerium und b) das Innenministerium zu dem o. a. Fall gegenüber dem Landkreis Hildesheim geäußert? Wie und wann hat sich a) das Sozialministerium und b) das Innenministerium gegenüber dem Landkreis Hildesheim dazu geäußert, ob von der o. a. Person c) eine gegenwärtige erhebliche Gefahr bzw. Störung im Sinne des NPOG bzw. NPsychKG ausgeht oder d) keine solche Gefahr/Störung ausgeht?
Mit freundlichen Grüßen
gez. Friedhelm Prior
Fraktionsvorsitzender
gez. Dirk Bettels
Sprecher der CDU-Kreistagsfraktion
für Jugend, Soziales und Gesundheit